Nach dem Parteitag in Augsburg: Wo steht DIE LINKE?

DIE LINKE ist im Zustand zwischen Krise und Erneuerung. Im November hatte die Partei ihren Bundesparteitag in Augsburg. Wir sprachen mit Christine Buchholz über die Krise der Linkspartei, den Weggang Wagenknechts und über den Krieg in Gaza

Hallo Christine. Was ist los mit der LINKEN?

DIE LINKE ist in einer Krise: Sahra Wagenknecht ist ausgetreten und hat das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gegründet, das Ende Januar eine Partei gründen will. Infolgedessen hat die Bundestagsfraktion ihren Fraktionsstatus verloren und muss 100 Fraktionsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, gleichzeitig verliert sie viele parlamentarische Rechte einer Fraktion.

Zugleich erlebt DIE LINKE momentan eine Eintrittswelle. In den letzten beiden Novemberwochen sind allein auf Bundesebene über 1.500 Menschen über die Website eingetreten, hinzu kommen Eintritte auf lokaler Ebene.

Es ist also zu früh, DIE LINKE für tot zu erklären. Allerdings deuten sich mit der aktuellen Entwicklung Verschiebungen im politischen Gefüge innerhalb der Partei an und die tiefgreifenden Konflikte insbesondere um die imperiale Rolle der EU und Deutschlands als wirtschaftlich stärkste Führungsmacht wirken fort und machen die LINKE deswegen bezüglich der zugespitzten internationalen Konflikte in diesen Fragen weitgehend handlungsunfähig

DIE LINKE ist momentan kaum wahrnehmbar.

Sie versagt gerade an einer der zentralen politischen Auseinandersetzung, die Proteste gegen den Krieg in Gaza und die weitere Entrechtung und Entmenschlichung der Palästinenser:innen durch den Staat Israel und der Bundesregierung an seiner Seite aufzubauen. Aber bei innerparteilich weniger strittigen Themen, wie der Kritik des Kürzungshaushaltes und der massiven Aufrüstung bleibt sie farblos, weil sie ihre Kritik nicht mit einer Perspektive des Widerstandes verbindet.

Lass uns die Punkte nacheinander besprechen. Wie bewertest du den Austritt Wagenknechts für DIE LINKE. Ist damit nicht ein schwelender Dauerkonflikt gelöst?

Ja und Nein. Da gab es zum einen den Konflikt um die Migrationspolitik. Sahra Wagenknecht hat sich mit ihren Positionen nie in der Partei durchgesetzt, aber das war ein offener Konflikt. Genauso ihre Angriffe auf vermeintlich identitätspolitische Positionen.

Zugleich hat sie öffentlich wahrnehmbar, scharfe Positionen gegen die Bundesregierung vertreten, wo die Parteiführung gezaudert hat. Das war zum Beispiel in Bezug auf den Krieg in der Ukraine der Fall. Deutliche Worte gegen Waffenlieferungen und gegen die Sanktionspolitik der Bundesregierung waren von ihr zu hören.

Zudem sind in der Frage der Migrationspolitik nicht nur Wagenknecht und ihre Anhänger:innen ein Problem gewesen, sondern auch die LINKE-Regierungspolitik. In Thüringen ist die Zahl der Abschiebungen im letzten Jahr gestiegen.

Der entscheidende Punkt für die Zukunft ist allerdings, dass sich mit dem Weggang von Wagenknecht und ihrer Gefolgsleute die politischen Gewichte in der Partei verschieben.

Wer tritt denn momentan in DIE LINKE ein?

Noch ist es zu früh, eine genaue Bilanz zu ziehen. Die Eintritte gibt es an unterschiedlichen Orten. Es gibt besondere Schwerpunkte in den großen Städten, aber auch in einigen ländlichen Kreisen gibt es viele Eintritte. In dem Zusammenhang sind zwei politische Akteure hervorzuheben. 

Zum einen gibt es einen Aufruf aus dem postautonomen Spektrum der Interventionistischen Linken. Einige Akteure, die bisher vor allem außerparlamentarisch aktiv waren, haben ihren Eintritt in die LINKE erkläret (Wir. Jetzt. Hier.). Zum anderen wirkt das Team um Carola Rackete stark in den Prozess der Erneuerung hinein. Sie spielen auch eine zentrale Rolle in der Kampagne „Eine Linke für alle“.

Politisch heißt das, dass alte Konflikte alles andere als vorbei sind. Alina Lyapina, eine Campaignerin aus dem Umfeld von Carola Rackete, wird nicht müde zu fordern, dass sich die außenpolitischen Positionen der LINKEN ändern müssen. Andere Neue bringen wichtige antiimperialistische Positionen mit. Andere sind völlig neu politisiert.

Insgesamt werden gerade die Positionen des Reformerlagers gestärkt. Das entspricht der Erfahrung, die wir in den letzten Jahren vielerorts gemacht worden, wo Kommunalfraktionen den Großteil der politischen Arbeit gestalten, während Parteistrukturen schwach sind. .

Wie hat sich das auf dem Parteitag in Augsburg geäußert?

Zum Beispiel darin, dass die grundsätzliche Kritik an der EU viel schwächer geworden ist im Vergleich zu früheren Parteitagen. Inzwischen hat sich eine Position durchgesetzt, die die EU nicht mehr grundlegend kritisiert, sondern sie als politischen Gestaltungsraum nutzen will.

Der Entwurf des an vielen Stellen schwachen Europa-Programms wurde durch eine Reihe von Anträgen aus dem Lager der Reformerströmung „Progressive Linke” noch einmal verschlechtert. So gibt es nun eine positiv zu lesende Haltung zur EU-Osterweiterung und die ohnehin schon falsche Beschlusslage zu Sanktionen wurde noch einmal erweitert, indem nun auch der russische Atomsektor sanktioniert werden soll. Mit keinem Wort war die Partei bereit, sich der Realität zu stellen, dass die bisherigen Sanktionen gescheitert sind und dass auch zukünftige Sanktionen scheitern werden, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Das wirkt, als hätten die Reformer auf ganzer Linie gesiegt.

Wir hatten mehrere friedenspolitische Anträge an das Programm gestellt, von denen einige übernommen und einzelne in der Abstimmung gegen den Parteivorstand durchgesetzt werden konnten. Übernommen wurden insbesondere Anträge, in denen die Rolle des Kapitals als Profiteur von Militarismus und robusterer imperialistischer Auseinandersetzung beschrieben wird. Nicht durchsetzen konnten wir uns dort, wo beispielsweise konkrete Kritik an Sanktionen oder an der EU-Osterweiterung in das Programm eingebaut werden sollte.

Das ist ein grundsätzliches Problem in der LINKEN: Solange die Kritik der Verhältnisse abstrakt geäußert wird, tut sie auch nicht weh – erst wenn sie in einer konkreten Situation angewendet wird, wird sie wirksam.  

Die LINKE war schon immer gespalten über die Situation in Israel/Palästina. Offen pro-zionistische Positionen wurden genauso vertreten wie antizionistische.

Der aktuelle Angriff auf die Bevölkerung des Gazastreifens stellt alles in den Schatten, was seit der Nakba 1948 geschah. In einer solchen Situation ist die Positionierung der LINKEN absolut unzureichend, wenn sie versucht, die Balance zwischen Kritik an Israel und Kritik an der Hamas zu bewahren. Deswegen habe ich auch den Beschluss des Bundesparteitages abgelehnt.

Du hast auch zu dem Thema gesprochen.

In einem Redebeitrag habe ich eingefordert den Angriff vom 7. Oktober in den Kontext der Besatzung einzuordnen und die Kriminalisierung und Delegitimierung des Protestes durch Demonstrationsverbote und pauschale Antisemitismusvorwürfe in Deutschland zurückgewiesen. Auf den Punkt gebracht: Solidarität statt Staatsräson.

Eine Europaabgeordnete, Martina Michels, hat mir daraufhin vorgeworfen, „die Sprache von Alice Weidel“ (AfD) zu sprechen und das Massaker der Hamas zu relativieren.

Da mir das Recht zu einer persönlichen Erklärung verwehrt wurde, haben 130 anwesende Genossinnen und Genossen eine Resolution der Solidarität mit mir verfasst. Auch der Parteivorstand hat jetzt kürzlich die Diffamierung gegen mich zurückgewiesen.

Wie wirkt sich die Entsolidarisierung denn aus?

Wir erleben gerade in Berlin, dass der schwarz-rote Senat das Oyoun, ein linkes und multikulturelles Kulturzentrum unter dem Vorwand, es würde antisemitischen Positionen Raum geben, die Finanzierung verweigert. Damit steht dieser wichtige Treff- und Kulturraum samt 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Aus. Es gibt in der Parlamentsfraktionen der LINKEN in Berlin Abgeordnete, die Angriffe auf das Oyoun unterstützen. Viele Mitglieder sind aber dagegen. DIE LINKE könnte viel wirkungsvoller sein, wenn sie sich klipp und klar hinter das Oyoun stellen würde.

Du hattest mit anderen einen eigenen Antrag auf dem Parteitag eingebracht. Worum ging es darin?

Ja, wir hatten als Initiative „Linke gegen Krieg“, die sich in der Auseinandersetzung um die Positionierung im Ukrainekrieg gegründet hat, einen eigenen Antrag vorgelegt, der eine Grundlage gewesen wäre, auf der DIE LINKE interventionsfähig gewesen wäre.

Über diesen Antrag haben wir ein Lager formiert, das über das hinausgeht, was wir bisher in der Palästina-Solidarität organisieren konnten. Deshalb sollten wir überlegen, wie wir die Debatte dazu in der LINKEN weiterführen können.

Nachdem wir unseren Antrag veröffentlicht haben, hat der Parteivorstand einen weiter rechts von unserem stehenden Antrag formuliert. Der sogenannten „progressiven Linke” hat das jedoch noch nicht gereicht und hat einen Antrag vorgelegt, der die Verantwortung für die Eskalation in Gaza der Hamas in die Schuhe geschoben hat, womit sich die Partei vollständig von ihrem internationalistischen Anspruch einer Friedenspartei verabschiedet hätte. 

Was ist dann passiert?

Kurz vor dem Parteitag hat eine Arbeitsgruppe dann einen Kompromiss formuliert. Da die große Mehrheit der Unterstützer:innen unseres Antrags diesem Kompromiss – wenn auch  teils mit Bauchschmerzen – zugestimmt haben, habe ich und andere verzichtet, unseren ursprünglichen Antrag zur Abstimmung zu stellen. Wir haben aber transparent gemacht, dass wir dem Kompromiss nicht zustimmen.

Die falsche Grundausrichtung in dem beschlossenen Antrag führt dazu, dass DIE LINKE weiterhin praktisch kein Faktor in der Solidarität mit Palästina ist und der Kriminalisierung der Palästina-Solidarität kaum etwas entgegensetzen kann. 

Das passiert, obwohl der Beschluss des Parteitages sich explizit dafür ausspricht, Demonstrationen und andere Aktivitäten zu unterstützen und als LINKE selbst zu initiieren. Wir nutzten diese Passage, um weiter in der LINKEN aktiv für Demonstrationen und Veranstaltungen zu mobilisieren.

Gleichzeitig müssen wir unabhängig davon operieren, um handlungsfähig zu sein. Das machen wir mit der “Initiative Sozialismus von Unten” z.B. in dem wir Proteste gegen den Krieg in Gaza mit organisieren oder aktiv unterstützen.

Was hat sich für Dich und die „Initiative Sozialismus von Unten”, der du seit der Trennung von marx21 angehörst, geändert?

Wir machen uns nicht mehr abhängig von den Entscheidungen der LINKEN. So sind wir an mehreren Orten aktiv beteiligt, Solidarität mit Palästina zu organisieren. Auch in der Frage des Krieges in der Ukraine warten wir nicht auf DIE LINKE, die in den letzten zwei Jahren nicht interventionsfähig war. Wir organisieren mit anderen Proteste für die wir dann auch DIE LINKE, bzw. einzelne Gliederungen gewinnen.

Trotz allem merken wir, dass Menschen in die Partei eintreten, die etwas gegen die Politik der Bundesregierung, gegen das Sterben an den europäischen Außengrenzen und gegen soziale Missstände tun wollen. Diese können wir mit einer klassenkämpferischen und internationalistischen Position ansprechen und für Aktivitäten gewinnen.

Andere, die sich teilweise enttäuscht von der LINKEN abgewendet haben, wollen wir auch organisieren. 

Mit der Initiative Sozialismus von unten wollen wir eine Organisation aufbauen, die für die konkreten Auseinandersetzungen sozialistische Positionen formuliert und damit interveniert – in die Gesellschaft, die außerparlamentarischen Bewegungen und die LINKEN – und die Leute politisch ausbildet, damit sie in den Auseinandersetzungen bestehen können .

Die Herausforderungen sind riesig und werden nicht kleiner mit der fortgesetzten Klimakrise, den zu erwartenden Angriffen auf die Arbeiterklasse und der sich verschärfenden internationalen Konkurrenz. 

Vielen Dank für das Interview.


Das Interview führte Simo Dorn.

Titelbild: DIE LINKE. / Martin Heinlein