Wie gegen Faschismus kämpfen?

Paul Mason behauptet die Formel des Antifaschismus gefunden zu haben. Die Realität des Faschismus sieht jedoch anders aus. Von Simo Dorn

Was ist Faschismus?

Um den Faschismus wirksam zu bekämpfen, ist es hilfreich sich klar darüber zu werden was Faschismus eigentlich ist. Einige Linke behaupten, dass Politiker:innen wie Trump wegen ihrer nationalistischen und rassistischen Rhetorik und Politik Faschist:innen oder faschistoid seien, oder bestimmte Einheiten der Polizei oder die Migrationspolitik der Bundesregierung, oder gar, dass wir wegen der zunehmenden staatlichen Repression bereits im Faschismus leben. Eine solche Sichtweise führt jedoch in die Irre.

Demonstrationsverbote, Polizeigewalt oder rassistische Migrationspolitik, all das gehört zum »normalen« Instrumentarium jeder bürgerlichen Demokratie unter kapitalistischen Vorzeichen. Es ist nicht hilfreich, den Herrschaftscharakter und die Wesenszüge der bürgerlichen Demokratie zu verschleiern, indem man dessen repressiven Kern als »faschistisch« bezeichnet.

Die bürgerliche Republik ist, wie Marx und Engels schon schrieben, nichts anderes als eine Maschine zur Bereicherung der Reichen und zur Unterdrückung der Arbeiter:innenbewegung.

Dennoch gibt es einen entscheidenden Bruch zwischen repressiver, bürgerlicher Herrschaft und einem voll ausgebildeten Faschismus.

Trotz der wachsenden staatlichen Repression ist es absolut irreführend, in Bezug auf, zum Beispiel, die Türkei von Faschismus zu sprechen. Wäre die Türkei ein faschistischer Staat, gäbe es keine kurdische Partei, geschweige denn Abgeordnete. Es gäbe auch keine freien Gewerkschaften und Streiks. In einer Diktatur setzt sich der bürgerliche Gewaltapparat in Form von Armee, Polizei und Justiz als Machtstruktur auch offiziell und formell als exekutive Staatsform durch und ersetzt die demokratischen, parlamentarischen Strukturen.

Dagegen ist der Faschismus eine zusätzliche Verdoppelung der Staatsmacht durch die Erhebung der faschistischen Bewegung zur staatlichen Macht selbst. Diese erhebt sich in Opposition zum existierenden bürgerlichen Staat, der dadurch auch in seiner Kompetenz beschränkt wird, aber mit dem Ziel der vollständigen Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung und jeglicher Formen von Demokratie, wie Parteien, Gewerkschaften, Betriebsräten und Genossenschaften.

Die faschistischen Parteien im 20. Jahrhundert durchliefen auf ihrem Weg zur Macht eine Entwicklung von ihrem Keimstadium über die Aufbauphase bis zur Entfaltung. Nur Deutschland und Italien haben einen radikalisierten Faschismus an der Macht erlebt. Ein wesentliches Merkmal dieser Regime war die völlige Zerschlagung jeglicher Opposition. Und das ist – bei allen Unterschieden – der Kern des Faschismus: Eine gewalttätige Bewegung zur Vernichtung jeden Widerstands mit einer von Staat und Kapital zunächst weitgehend unabhängigen Massenbasis auf der Straße.

Die Verdoppelung der Staatsmacht kann jedoch nicht aus sich selbst heraus geschehen, sondern baut auf dem Konflikt und der inneren Widersprüchen des bürgerlichen Staat zur Arbeiter:innenklasse auf. Unter den Bedingungen großer politischer Erschütterungen und einer tiefen Wirtschaftskrise muss die Bourgeoisie zur Überzeugung kommen, dass Anti-Streikgesetze, Lohnstopps und sonstige »legalen« Maßnahmen zur Beschränkung der Arbeiter:innenbewegung nicht mehr ausreichen, ihre Profite zu sichern. In einer solchen Situation sind die Kapitalist:innen bereit, den Faschist:innen freien Weg zu geben und sie finanziell zu unterstützen, ganz gleich wie geschmacklos sie die Methoden und Ideen der Faschist:innen einzeln auch finden mögen. Das Kapital muss sich entscheiden, dass es sich im Moment der Krise die Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie nicht mehr leisten kann, um ihr Eigentum und ihre Profite zu sichern.

»Solange die Bourgeoisie von der Sozialdemokratie und folglich von den Arbeitern abhängig war, enthielt das Regime aber immer noch Elemente des Kompromisses. Bald ließ die internationale und die innere Lage des deutschen Kapitalismus keinen Raum mehr für Zugeständnisse. Rettete die Sozialdemokratie die Bourgeoisie vor der proletarischen Revolution, so hatte der Faschismus seinerseits die Bourgeoisie vor der Sozialdemokratie zu retten. Hitlers Umsturz ist nur das Schlussglied in der Kette der konterrevolutionären Verschiebungen«, schrieb Trotzki 1933 in Porträt des Nationalsozialismus.

Der Weg des Faschismus an die Macht

Dies ist eine der Bedingungen damit faschistische Bewegungen die Machtfrage an den Staat stellen können. Die zweite Bedingung ist die wirtschaftliche Krise an sich.

Die wirtschaftliche Krise muss so tiefgehend sein, dass die Existenz von Millionen von Menschen zerstört wird. Die wirtschaftliche Katastrophe muss kleine Geschäftsleute und Landwirt:innen, Laden- und Werkstattbesitzer:innen in eine verzweifelte Panik und in den wirtschaftlichen Ruin treiben.

In einer solchen Situation gibt es radikale gesellschaftliche Veränderungen. Ganze Gruppen von Menschen, die normalerweise das Rückgrat der Rufe nach »Ruhe und Ordnung« sind, die sich nie in ihrem Leben an einem Streik oder einer Demonstration beteiligt haben, gehen plötzlich auf die Straße oder unterstützen die, die das machen. »Normale«, »gestandene« Bürger:innen suchen verzweifelt nach Lösungen für die wirtschaftliche Krise, in der sie sich auf einmal befinden. Sie suchen verzweifelt nach einem Ausweg, so sagen sie: »so kann es nicht weitergehen«.

Die faschistische Bewegung organisiert ihren Kern im Allgemeinen aus verzweifelten und verarmten Kleinkapitalist:innen und ist damit ihrem Wesen nach die politische Bewegung des vom Untergang bedrohten Kleinbürgertums. Sie stehen sozial einerseits zwischen den großen Konzernen, die die kleinen Kapitalist:innen mit verschärften Konkurrenzkampf ruinieren, und andererseits der Arbeiter:innenbewegung mit ihren Lohnforderungen. Auch die Mittelschichten im Staatsapparat, die Unteroffiziere des Kapitals in Polizei und Beamtentum sind sehr anfällig für faschistische Ideologie, wenn die Krise die staatliche Autorität zerrüttet und so ihre gesellschaftliche Position gefährdet wird. Die Mittelschichten lehnen sich normalerweise an die Bourgeoisie an und ihr Blickwinkel ist stets der soziale Aufstieg in die herrschende Klasse.

Faschist:innen können nur dann zum akzeptierten Partner der Kapitalist:innen werden, wenn sie die Mittelschichten gegen die Arbeiter:innenklasse mobilisieren können, und nur dann, wenn das Kapital zur Überzeugung kommt, dass ihre traditionellen Methoden des Machterhalts nicht mehr ausreichen.

Der Faschismus stellt den Machtapparat selbst in Frage und begegnet ihm mit eigenen militanten Fußtruppen in Form der SA und SS, die mit Terror gegen Streiks, Proteste und Individuen der organisierten Arbeiter:innenbewegung vorgehen. Die Kritik der Faschist:innen am Staat bedient sich zumeist linker Narrative um Globalisierung, Arbeitsplätze, Armut verdreht die Ursache aber ins Rassistische und ins Erschaffen eines Feindbild, das bekämpft werden muss – damals Jüdinnen und Juden, heute vermehrt Muslima und Muslime.

Auch wenn der Aufstieg des Faschismus durch eine existenzbedrohende Krise des Kapitalismus erst möglich wird, so zahlt der Faschismus einmal an der Macht seine Schuld an das Kapital zurück.

Masons Faschismusbegriff

Für Mason ist Faschismus genau das aber nicht. Für ihn ist er im Wesen ein psychologisches Phänomen und eine Frage um staatliche Macht als Selbstzweck. Damit reiht sich Mason in einen populären Trend ein gesellschaftliche und politische Probleme und Krisen zu Psychologisierung. In seinem Buch »Faschismus. Und wie an ihn stoppt« bezeichnet er den Faschismus als »Bedürfnis vieler Menschen, weniger menschlich zu werden, weniger Freiheit und Autonomie zu haben, zu gehorchen. Wenn wir den Faschismus verstehen wollen, müssen wir die Wurzeln dieses Bedürfnisses verstehen.«

Weiter würden sich die faschistischen Ideen ausbreiten, »weil wir mit fünf Problemen gleichzeitig konfrontiert sind: Unser Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr. Die Zustimmung zur Demokratie schwindet rasch. Wir durchleben eine Krise der technologischen Kontrolle, in der einige Staaten, Unternehmen und nichtstaatliche Akteure Informationsnetze nutzen, um die Wahrheit zu unterdrücken und das rationale Denken zu zersetzen. Und über alldem schwebt die drohende Klimakatastrophe.«

Es ist kein Geheimnis, dass unser Wirtschaftsmodell nicht funktioniert, aber das hat der Kapitalismus noch nie getan – weder in der Praxis, noch auf dem Papier. Ebenfalls muss entgegnet werden, dass verschiedene Merkmale einer Krise nicht notwendigerweise unterschiedliche Ursachen haben. Den Kapitalismus zu benennen ist korrekt, aber seinen Einfluss auf faschistische Tendenzen und Bewegungen, wie oben dargelegt, darüber schweigt Mason.

Der Faschismus hat sich geschichtlich mit der Krise des Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt. Er stützte sich in den 20er Jahren auf die durch die Krise ins Elend gestützten Mittelschichten, die sich nach den großen Niederlagen, der Arbeiter:innenbewegung von 1919 bis 1923 dem Lager der offenen Konterrevolution anschlossen. Diesen Kern des Faschismus, der ihm noch heute innewohnt, zu psychologisieren und als Symptom einzelner Individuen zu attestieren, beraubt dem Faschismus der tatsächlichen Gefahr des Masseneinflusses auf die Mittelschichten einer krisengezeichneten Gesellschaft.

Mason scheitert in seiner Analyse des Faschismus an den entscheidenen Fragen einer materiellen Analyse der Gesellschaft als Klassengesellschaft, wie der Marxismus es tut. Diesem misst Mason hingegen nur geringe Bedeutung bei und kritisiert ihn in seiner Allgemeinheit mit dem speziellen Scheitern der radikalen Linke in der Weimarer Republik.

Was ist Antifaschismus für Mason?

Mit Masons Missinterpretation des Faschismus zeigt sich ebenfalls der Fehlschluss in der Bekämpfung von faschistischen Bewegungen bei Mason. So definiert er die drei Säulen des Antifaschismus mit

  1. einen antifaschistischen Ethos in der Bevölkerung, gemäß der Losung »Nie wieder!«,
  2. einer Volksfront von Linken bis Liberalen und Konservativen gegen die Faschist:innen und
  3. einer militanten Demokratie, in der der Staat und die Polizei entschlossen mit der Macht des Gewaltapparates gegen Rechts und Faschismus vorgehen.

Mit der obigen Darstellung, was Faschismus ist, erweisen sich die beiden Strategien eins und drei als reine Papiertiger, sollte es zum Fall einer massiven Systemkrise kommen. Ein antifaschistischer Ethos ist bedeutungslos, wenn er nicht Teil einer organisierten Form der Mobilisierung gegen faschistische Kräfte ist. Ebenso ist auf den bürgerlichen Staat nicht zu vertrauen, was den Kampf gegen Rechts angeht. Sowohl in der Weimarer Republik als auch seit den 1990er Jahren war und ist erkennbar, dass die Staatsmacht nicht Willens ist rechtsterroristische Strukturen und Netzwerke außer- und innerhalb ihrer Behörden zu bekämpfen. Man war und ist auf dem rechten Auge blind.

Eine Volksfront würde bedeuten, diejenigen zu unterstützen, deren jahrzehntelange Herrschaft durch Sparmaßnahmen und Rassismus das Wachstum der extremen Rechten überhaupt erst ermöglicht hat. Die Linke müsste am Ende allen möglichen reaktionären Maßnahmen zustimmen, die von den Liberalen in einer Volksfrontregierung gefordert werden. Sie wäre diejenige, die alle Streiks oder Proteste gegen die Rechte niederschlagen müsste. Die Geschichte hat bereits gezeigt, dass diese Strategie nicht aufgeht.

Wie gegen Faschismus kämpfen?

Wir können uns durchaus auf zwei grundlegende Strategien im Kampf gegen Faschist:innen verständigen:

  1. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Faschist:innen nutzen seit jeher linke Narrative und entfremden sie nach ihren Zwecken der Hetze und des Hasses gegenüber Minderheiten. Man diskutiert niemals mit ihnen.
  2. Lasse nicht zu, dass Faschist:innen durch die Straßen marschieren. Sie müssen bekämpft werden Teil des öffentlichen Lebens, gesellschaftlicher Institutionen, Schulen oder Vereine zu sein. Sie gewinnen ihre Macht nicht durch Argumente, sondern durch Terror und Gewalt.

Es wird schnell ersichtlich, dass diese Strategien in einer Volksfront nicht realisierbar sind. Es darf nicht darum gehen mit Liberalen einen Kompromiss über die Frage zu finden, wer das bessere Argument hat. Im Kampf gegen Rechts darf der Kompromiss nicht das Ziel der Aktion sein. Vielmehr muss es das Ziel der Linken sein, den Preis für einen möglichen Kompromiss zwischen den Herrschenden und den Faschist:innen so immens hoch zu treiben, dass die Herrschenden als auch die Liberalen nicht Willens sind die Rechnung dafür zu zahlen.

Ein Beispiel dafür ist die hessische Landtagswahl 2018, wo die AfD das erste Mal in den Landtag eingezogen ist. Die Anti-AfD-Kampagne im vorangegangenen Wahlkampf hat den Preis einer möglichen Koalition aus Konservativen, Liberalen und AfD für die Bürgerlichen zu hoch werden lassen, als dass eine gemeinsame Regierung im Bereich des Diskutierbaren lag.

Paul Mason hat sein Buch aus einem durchaus richtigen Anspruch an die Gesellschaft geschrieben. Der Aufwind für die radikale Rechte war nie größer und wir müssen die Frage beantworten, wie wir ihnen entgegentreten. Allerdings ist Masons Analyse im Kern fehlerhaft. Ebenso ist sein Anspruch auf Vollständigkeit und Deutungshoheit gefährlicher, als dass er von Nutzen ist. Die politische Linke darf nicht den Fehler machen, jede autoritäre Erhebung des bürgerlichen Staates als Faschimus zu markieren. Natürlich gehört jede autoritäre Erhebung kritisiert und bekämpft, aber das Erkennen von tatsächlichen faschistischen Tendenzen ist für den Kampf gegen sie von entscheidender Bedeutung.

Die Entstehung des deutschen Faschismus zeigt, wie verheerend es sein kann, den Faschismus-Begriff für jede Form gewaltsamer Unterdrückung durch den kapitalistischen Staat zu gebrauchen. Die Sozialfaschismus-These (also das Verständnis, dass die Sozialdemokratie als bürgerliche Partei den »linken Flügel des Faschismus« darstelle und damit vorrangig zu bekämpfen sei) war ein schwerwiegender Fehlschluss der radikalen Linken in der Weimarer Republik, den manche erst erkannten als es zu spät war.

Auf dem Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1933 blickte Hitler zurück auf den Weg der Partei an die Macht: »Allmählich entstand im Staat der Demokratie der Staat der Autorität, im Reiche der jammervollen Gesinnungslosigkeit ein Kern fanatischer Hingebung und rücksichtsloser Entschlossenheit. Eine einzige Gefahr konnte es gegen diese Entwicklung geben: Wenn der Gegner (…) mit letzter Brutalität am ersten Tag den ersten Keim der neuen Sammlung vernichtete.«


Titelbild: DIE LINKE. im Bundestag